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Freie Presse
Erstes Schocken-Kaufhaus steht in Oelsnitz Cottbuser Architekt Lars Scharnholz hat sich mit der Geschichte von Kaufhaus und Konzern beschäftigt - Heute Wohn- und Geschäftshaus
Das Hintergebäude des Oelsnitzer Der typische Stil ist bis heute am Schocken-Kaufhauses1998 im Hintergebäude erhalten. unverwechselbaren Bauhausstil. VON MICHAEL URBACH
Oelsnitz. Wir schreiben das Jahr 1929, die Bergarbeiterstadt Oelsnitz befindet sich im Aufschwung. Nahezu 20.000 Menschen wohnen in dem Ort am Hegebach. Die zahlreichen Steinkohlehalden verbieten es zwar, von blühenden Landschaften zu sprechen, aber die Wirtschaft blüht auf. Der jüdische Kaufmann Salman Schocken nutzt gemeinsam mit seinem Bruder Simon die Gunst der Stunde und erweitert den kleinen Laden auf der heutigen Meinertstraße, den er 1904 erworben hatte, zum damals größten sächsischen Warenhaus auf dem Lande. „Dieser Laden war praktisch die Keimzelle des Schocken-Konzerns", sagt Lars Scharnholz, Jahrgang 1969. Scharnholz weiß, wovon er spricht. Der Cottbuser Architekt hat während seines Studiums mit viel Aufwand eine Arbeit über die „Architektur des deutschen jüdischen Unternehmens Schocken" geschrieben und dafür jede Menge Akten im Sächsischen Staatsarchiv gewälzt, mit kundigen Vertretern der Stadt Oelsnitz gesprochen und sogar die Nachfahren Sturtzkopfs - der von Schocken beauftragte Planer des hiesigen Warenhauses - ausfindig gemacht. Aus jenen wenigen Quadratmetern Verkaufsfläche in Oelsnitz entwickelte sich bis 1933 ein Konzern mit mehr als 3o Filialen und 6ooo Mitarbeitern in ganz Deutschland. Möglich wurde dieser rasante Aufstieg vor allem durch das wirtschaftliche Geschick der Brüder. Die Devise „klotzen statt kleckern" wurde umgekehrt; den damals üblichen teuren, palastartigen Jugendstil Kaufhäusern setzten die von Schocken beauftragten Baumeister sachliche, schnörkellose Bauten der Bauhaus-Schule gegenüber. Bernhard Sturtzkopf, Assistent des Bauhaus Gründers Walter Gropius, werkelte fleißig an der Erweiterung der Oelsnitzer Filiale; 1929 standen schließlich 8oo Quadratmeter Verkaufsfläche zur Verfügung. Dem Kunde, der hierzulande vorwiegend aus der Arbeiterschaft stammte, war trotz aller Liebe zum funktionellen Großraum-Warenhaus mit dem hübschen „Schocken"-Schriftzug der Preis nicht einerlei. „Erfolgsgeheimnis neben der Bauweise war die Einrichtung eines Zentrallagers", sagt Scharnholz. So konnten große Mengen an Ware zu geringeren Preisen eingekauft und entsprechend wieder günstig verkauft werden. Auch das Umtauschrecht oder eine Qualitätskontrolle führte Schocken ein - Dinge, die heute selbstverständlich sind. Die Angestellten erhielten überdurchschnittlichen Lohn sowie Kranken- und Urlaubsgeld. Am 1. Januar 1939 wurde das florierende Unternehmen von den Nazis „arisiert" und in „Merkur AG" umbenannt. Nach dem dunklen Kapitel des Krieges und der Entflechtung der Konzerne im Zuge der Neuordnung hielt die DDR-Handelskette „Konsum" Einzug in die nun ins Volkseigentum eingegangene ehemalige Oelsnitzer Schocken Filiale. Viele Jahre später, der Arbeiter und Bauernstaat ist längst Vergangenheit, ziert wieder der Schriftzug „Schocken" die Fassade des Hauses. Sauber und einladend wirkt es. Ganz anders noch als in der Zeit nach der Wende, als es lediglich für kurze Zeit ein Schuhgeschäft beherbergte und ansonsten leer stand. „Ein richtig hässliches Entlein war das Gebäude damals", erinnert sich Jens Dietrich, dessen Planungsbüro seinerzeit die Sanierung plante und realisierte. Brandstiftung und Vandalismus hatten den exponiert gelegenen Bau zum Schandfleck verkommen lassen. Eine regional ansässige Investorengemeinschaft erwarb die baufällige Immobilie von den Schocken Nachkommen, die den enteigneten Familienbesitz nach 1990 zurückerhalten hatten. Nutzungskonzepte wurden erstellt und wieder verworfen. An ein Kaufhaus, getreu dem historischen Vorbild, war wegen fehlender Parkplätze nicht zu denken. Letztlich erwies sich die Idee, das Gebäude in ein Wohn- und Geschäftshaus zu verwandeln, als realisierbar. Im einstigen Vorderhaus befinden sich nun eine Arztpraxis und vier Wohnungen; der Sturtzkopf-Hauptbau beherbergt eine Musikschule sowie weitere 15 Wohnungen. Den Verbindungsbau riss man ab, so entstanden Parkplätze. Sehr aufwändig und eine echte Herausforderung" sei besonders die Sanierung des Hauptgebäudes gewesen, so Dietrich. „Es wurde zur Zeit der Weltwirtschaftskrise errichtet, entsprechend miserabel war die Qualität des Betons." Nicht wenige ältere Leute, die noch das ursprüngliche Schocken-Haus kannten, seien gekommen, um sich die sanierte Version anzuschauen, sagt der Planer. 

So sah die Front des Schocken-Kaufhauses in Oetsnitz 1998 vor der Sanierung aus ... -FOTOS: LARS SCHARNHOLZ (2)


... und so sieht sie heute aus. Der Schriftzug „Schocken" weist auf die Ge schichte des Hauses hin. -FOTOS: ANDREAS TANNERT (2)
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